Warum
die palästinensischen Politiker vielleicht nicht ermächtigt sind, wirklichen
Frieden zu schließen – warum es dazu vielleicht die
islamische Umma
braucht, die Gemeinschaft aller Muslime
Gottfried Hutter, Theologe, Psychotherapeut, Autor dieser Friedensinitiative,
Gründer und Vorsitzender des Tempel-Projekt e.V.
Seit 65 Jahren existiert der Staat Israel und seit 65 Jahren existiert
er im Kriegszustand. Wenn wir aus unserer aufgeklärten westlichen Perspektive
die vielen bisherigen Lösungsversuche betrachten, können wir kaum verstehen,
warum es bis jetzt keinen Frieden gibt. Trotz unseres aufgeklärten Verstands
neigen wir dazu, einer oder beiden Seiten bösen Willen zuzuschreiben. Und
seltsamerweise scheint es gerade unser aufgeklärter Verstand zu sein, der uns
nicht erlaubt zu sehen, dass Israel inmitten einer Welt entstanden ist, deren
Menschen das Leben ganz anders betrachten. Ein Mensch, der im Westen groß
geworden ist, kann sich kaum vorstellen, wie Muslime des Nahen Ostens denken
und fühlen.
Keiner hat das klarer auf den Punkt gebracht, als der gegenwärtige
türkische Premierminister, Ahmet Davutoglu, in seinem
anspruchsvollen, hoch philosophischen Buch „Alternative Paradigms“,
in dem er den fundamentalen Unterschied zwischen westlicher und islamischer
Weltanschauung beschreibt.
Ohne auf die metaphysischen Hintergründe des islamischen Paradigmas
einzugehen, aber mit Bezug auf die Staatsgründung Israels, lässt es sich meines
Erachtens so sagen: Alle Muslime, und damit auch die meisten Palästinenser,
stehen im Dienst der Gemeinschaft aller Muslime, der Umma. Als ohne
deren Zustimmung eine artfremde, nichtislamische Entität in das Gebiet der Umma
implantiert wurde, nämlich Israel, konnte die Umma
als ganze das nicht akzeptieren. Sie reagierte
1948 militärisch. Islamische Staaten wollten den Fremdkörper beseitigen. Das
gelang aber nicht. Stattdessen besetzte Israel 1967 die verbliebenen
palästinensischen Gebiete.
Aus der Sicht der Umma ist der anschließende Kampf der
Palästinenser daher nicht nur ein nationaler Befreiungskampf, sondern auch eine
religiöse Pflicht. – So lässt sich meines Erachtens verstehen, wie die
islamische Hamas es wagen kann, in ihren Angriffen gegen Israel so wenig
Rücksicht auf die eigene Bevölkerung zu nehmen, denn alle müssen ihren Teil
beitragen zum Sieg des Islam in diesem Kampf gegen die aufoktroyierte fremde
Entität.
Um den Konflikt zu lösen, wollten die Weltmächte den Palästinensern zu
einem eigenen Staat verhelfen. Sie erarbeiteten einen wunderbaren
Friedensvorschlag, die Zwei-Staaten-Lösung. Alle Welt schien zuzustimmen.
Dennoch wurde in Jahrzehnten von Verhandlungen keine Einigung erreicht.
Warum? Der wunderbare Friedensvorschlag sieht das islamische Paradigma
nicht: Es handelt sich nicht um eine „Privatangelegenheit“ zwischen Israelis
und Palästinensern. Der Kern des Konflikts besteht vielmehr darin, dass durch
die Errichtung des Staates Israel ein Teil des islamischen Kernlands von
Nichtmuslimen besetzt und damit die Ganzheit und Geschlossenheit des Gebiets
der Umma aufgebrochen worden ist. Das sieht die Umma als direkten
Angriff, umso mehr als es sich um das Gebiet einer der heiligsten Stätten des
Islam handelt, al Haram ash Sharif, das „Edle
Heiligtum“ der Muslime auf dem Tempelberg in Jerusalem, und weil Israel auf
genau diesen Ort Eigentumsanspruch erhebt, weil es der Platz ihres alten
Tempels ist.
Da der Konflikt die gesamte Umma betrifft, sind palästinensische
Politiker nicht ermächtigt, diesen Konflikt für beendet zu erklären, wenn sie
mit den materiellen Verhandlungsergebnissen zufrieden sind. Das zeigen Aussagen
aus dem Iran, der Hisbollah oder der Hamas. Auch eine Erklärung der arabischen
Liga aus dem Jahr 2014 besagt, dass Israels Grundbedingung für Frieden, nämlich
als Heimat für alle Juden anerkannt zu werden, nicht erfüllt werden darf.
Viele Menschen unseres Kulturkreises können nicht verstehen, warum es
für Israel so wichtig sein soll, als Heimstatt der Juden anerkannt zu werden.
Es ist für Menschen, die im Westen groß geworden sind, schwer nachzuvollziehen
– und ebenso für manche säkulare Israelis – dass die gegenwärtige Offenheit
westlicher Demokratien trügerisch sein kann.
Sie vergessen, dass es einen Grund gab für den Auftrag des Völkerbunds
an England, eine Heimstätte für das jüdische Volk vorzubereiten, dass dieser
Auftrag dann zum UN Teilungsplan von 1947 führte und dass beide Maßnahmen davon
ausgehen, dass die Juden einen Staat brauchen, einen Platz auf diesem Planeten,
an dem sie vor Verfolgung sicher sein können, denn in der Vergangenheit setzten
zu Krisenzeiten mit großer Regelmäßigkeit Verfolgungen ein, besonders in
Europa. Das könnte auch heute geschehen, wie regionale dramatische Zunahmen des
Antisemitismus befürchten lassen. Damit Juden auch in Krisenzeiten vor
Verfolgung sicher sein können, brauchen sie ihren eigenen Staat und darin eine
Bevölkerungsmehrheit. Und wegen der weltweiten Gefahr von Verfolgungen muss
dieser Staat eine Heimat für alle Juden weltweit sein können, zumindest
potenziell.
Auf der Homepage dieser Friedensinitiative finden Sie als einzigen
fremden Beitrag einen Artikel von Professor Sari Nusseibeh,
dem langjährigen Präsidenten der Al Quds Universität
in Jerusalem, „Warum Israel kein jüdischer Staat sein kann“ (http://www.tempel-projekt.de/Warum%20Israel%20nicht%20ein%20juedischer%20Staat%20sein%20kann%20Nusseibeh%2011_10_02.htm).
Ich habe diesen Artikel ins Deutsche übersetzt und dort platziert, weil ich
meine, dass Nusseibehs Argumente bei der Definition
des „jüdischen“ Staates berücksichtigt werden müssen, damit sichergestellt
bleibt, dass Nichtjuden dort keinerlei Verfolgung ausgesetzt sein werden.
Sowohl Israelis wie Palästinenser brauchen Frieden. Wie kann Frieden
erreicht werden? Eine Rückkehr in die Zeit bevor der Staat Israel existierte,
ist nicht möglich. Es gibt nur eine Alternative, nämlich dass die muslimische Umma ihren jüdischen Brüdern und
Schwestern Frieden gewährt. Das aber setzt eine förmlichen
Versöhnung zwischen Juden und Muslimen voraus.
Es genügt daher nicht, die Umma in Friedensverhandlungen
einzubeziehen; sie muss als Hauptverhandlungspartner Israels gesehen werden.
Das Problem, das durch die Gründung des Staates Israel für die islamische Umma
entstanden ist, muss gemeinsam mit der Umma gelöst werden – zusammen
mit einem entsprechenden Ausgleich für alle materiellen Schäden, die die
Palästinenser erlitten haben. Dann kann die Umma Israel in ihrer Mitte
willkommen heißen.
Ein erster Schritt in diese Richtung muss die muslimische Umma befreien
von dem Schock, den die Gründung des Staates für sie bedeutet hat. Dazu muss
Israel sein Mitgefühl dafür ausdrücken – und ganz Europa muss anerkennen, dass
seine Ahnen zu diesem Schock ganz wesentlich beigetragen haben. Außerdem muss
Israel seine Wertschätzung dafür ausdrücken, dass Juden vor der Staatsgründung
Israels im Bereich der islamischen Umma dreizehn Jahrhunderte lang in
Frieden leben konnten.
Aber wie konnte dieser lange Frieden in Krieg münden?
Der Prophet Mohammed hat die Juden als Volk des Buches respektiert. Aber
wo immer der Islam dann zur dominierenden Kraft wurde, mussten sich alle
Nicht-Muslime unterordnen. Sie mussten sich selbst als Dhimmis betrachten,
als „Schutzbefohlene“. Sie mussten eine Sondersteuer zahlen, durften keinen
Militärdienst leisten und mussten eine leichte Einschänkung
ihrer Religionsfreiheit hinnehmen. Diese praktische Lösung hat Frieden ermöglicht.
Durch die Gründung des Staates Israel aber wurde dieser uralte, in der Sharia verankerte
Friedensvertrag gebrochen. Das hat – ungeachtet aller Eigentumsansprüche an
Land – zu der Absicht geführt, diese neue und unkooperative
Entität wieder zu beseitigen. Aber das neue Israel konnte sich selbst natürlich
nicht einfach aufgeben. Es hat sich durchgesetzt. Und, um nach Jahrzehnten der
Bedrohung endlich Sicherheit zu gewinnen, hat es schließlich ganz Palästina
erobert und besetzt. Und ich meine, dass die immer noch andauernde Besatzung
erst aufgehoben werden kann, wenn die Existenz Israels nicht länger bedroht
wird.
Die Palästinenser allein können keine Sicherheit garantieren. Daher wird
wirklicher Frieden erst möglich, wenn die gesamte islamische Umma den
jüdischen Staat in ihrer Mitte ausdrücklich willkommen heißt – etwas, das nur
der Verbindung mit den tiefsten Werten des Islam entspringen kann. Es braucht
dazu Versöhnung zwischen Muslimen und Juden, denn dann ist nicht nur ein
Waffenstillstand möglich, sondern wirklicher Frieden. Dann kann die alte Dhimmi-Regel der Sharia abgelöst werden von der koranischen Regel des Wettbewerbs in der Tugend (Sura 5,48). Und das müssen alle muslimischen Staaten – in
Vertretung der Umma – durch ihre Unterschrift bestätigen.
Wenigstens ein Teil der gegenwärtigen Unruhen in der islamischen Welt
beruht auf der Frustration der Umma über das Weiterbestehen des Fremdkörpers
Israel innerhalb der Sphäre seiner unmittelbaren Interessen. Diese Frustration
hat sich seit 1967 stark verschärft, weil die Israelis ihre Besatzung zu weit
mehr benutzt haben als zur militärischen Sicherheit und einen Zustand
chronischer Ungerechtigkeit für die Palästinenser geschaffen haben und chronische Unsicherheit
für alle Bewohner des Landes
Während mit Ägypten und Jordanien Friedensverträge unterzeichnet worden
sind, schien niemand fähig oder willens zu sein den Palästinensern in den
besetzten Gebieten zu helfen. Niemand in der islamischen Welt wagte es, im
Namen der islamischen Umma zu sprechen
oder zu handeln. Allerdings erfolgte ein (eher zögerlicher) Schritt von Seiten
des königlichen Hofes in Amman, nämlich der offene Brief „Ein gemeinsames
Wort“, der zur Versöhnung zwischen Muslimen und Christen aufrief, zögerlich
deshalb, weil er nicht auch an die Juden gerichtet war.
Angesichts der schrecklichen Machtdemonstrationen der IS braucht es
jetzt einen wesentlich kräftigeren Anlauf zur Versöhnung – und nur eine Person
in der heutigen islamischen Welt genießt die Anerkennung, die dafür nötig ist,
nämlich König Abdullah II. von Jordanien. Er könnte die Vorbedingung für wahren
Frieden tatsächlich erreichen: Versöhnung zwischen den beiden „Völkern des
Buches“, Muslime und Juden.
Und eine Person kann ihm die dazu nötige Unterstützung geben, Papst Franziskus
I. – besonders seit der frühere israelische Präsident Peres ihn formell darum
ersucht hat, eine neue Institution ins Leben zu rufen und zu leiten, die URO,
die „United Religions Organization“.
(Update 22. 9. 2014)
Information und Kontakt: www.Tempel-Projekt.de; gottfried.hutter@gmx.de
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