Warum
Juden gemischte Gefühle haben beim Gedanken an einen Neuen Tempel
Heute sind es weniger die Juden, die einen Neuen Tempel
brauchen, es sind die Muslime, denn solange die Juden keinen Neuen Tempel
haben, schwebt ein Damoklesschwert über den islamischen Heiligtümern, die ja
auf dem Platz des jüdischen Tempels stehen.
Wenn die Juden als „Gottes auserwähltes Volk“ in dem
Konflikt heilend wirken wollen, müssen sie sich daher möglicherweise bereit
machen für einen Neuen Tempel – in Übereinstimmung mit den Schriften und im
Respekt für ihre Geschwister in Abraham.
Gegenwärtig allerdings möchte die Mehrheit der Juden lieber
keinen Neuen Tempel. Die liberalen Juden lehnen einen neuen Tempel
grundsätzlich ab. Sie sagen mit der Zerstörung des Tempels durch die Römer sei
eine spirituelle Wende eingetreten, weg vom Opferkult und vom zentralen
Heiligtum hin zu dezentralen Gottesdienststätten.
Für viele von denen, die einen Neuen Tempel erhoffen, ist außerdem
klar, dass ein neuer Tempel nicht einfach eine Wiedererrichtung des alten sein
kann. Wohl eine Mehrheit unter den Juden würde heute keine Tieropfer mehr haben
wollen. Der Neue Tempel sollte nicht ein blutiger sein.
Vor allem aber möchte die Mehrheit der Juden nicht von einer
religiösen Minorität dominiert werden, die das alte theokratische System
wiederbeleben und das israelische Parlament durch einen neuen Sanhedrin
ersetzen möchte. Die Mehrheit der israelischen Juden würde lieber auf einen
neuen Tempel verzichten, als die Demokratie aufs Spiel zu setzen.
1967, als der Tempelberg
nach 1900 Jahren wiedererobert war, bot sich eine historisch einmalige
Chance, auch den Tempel neu zu errichten. Die säkulare israelische Regierung hat
sich damals aber nicht auf diese Chance gestürzt. Es waren damals nur wenige,
die einen neuen Tempel haben wollten. Außerdem wollte die Regierung keinen weltweiten
Aufruhr unter den Juden provozieren. Ein solcher wäre möglicherweise aber entstanden,
wenn die unterschiedlichen konfessionellen und ideologischen Gruppen unter den
Israelis begonnen hätten, die Angelegenheit zu diskutieren. Daher müssen die
Konflikte innerhalb des Judentums selbst zuerst angesprochen werden, bevor es einen
neuen Tempel geben kann.
Gerade dafür aber eröffnet sich heute eine ganz neue Chance
– weil es heute eben nicht so sehr die Juden sind, die einen neuen Tempel
brauchen, als die Muslime. Sie möchten dieses Damoklesschwert loswerden.
Deshalb könnte ein neuer Tempel heute zu einem Instrument der Heilung für alle
werden.
Ohne Zustimmung der Muslime können die Juden ihren Tempel ohnehin
nicht errichten. Sogar die orthodoxen Haredi-Juden
könnten daher motiviert sein, mit den Muslimen zu verhandeln, um eine
Vereinbarung über die islamischen Heiligtümer zu erreichen. Natürlich möchten alle
Gruppen unter den Juden an Gesprächen über einen eventuellen neuen Tempel beteiligt
sein; und alle müssten sich gleichermaßen respektiert und anerkannt fühlen. Allein
das würde allen klar machen, dass ein
neuer Tempel wirklich ein neuer
Tempel sein muss mit einer neuen
Funktion, die für alle Juden akzeptabel ist.
Genau damit aber würde das Objekt des Konflikts zu einem
Mittel der Lösung werden. Der neue Tempel würde der ganzen Welt zeigen, dass
das „Auserwählte Volk“ tatsächlich der Heilung und dem Frieden dient.
Das Resultat dieses Dialog-Prozesses, der Neue Tempel, kann
dann für die Juden wieder ein Instrument der Versöhnung sein, und die Menschen der
ganzen Welt können ihn, wie von den Propheten vorhergesagt, als ein Instrument
inneren und äußeren Friedens betrachten und zu ihm pilgern, um dessen Segen zu
empfangen.
Das alles könnte sehr unrealistisch klingen – wenn da nicht
eine Meinungsumfrage von 2009 wäre, die zeigt, dass überraschende 64% aller
Juden in Israel einen Neuen Tempel jetzt möchte – darunter 49% der säkularen
Juden.
Für
den Tempel-Projekt e.V.: Gottfried
Hutter, Theologe, Historiker, München
Tel. +49-89-4471 8971, gottfried.hutter@gmx.de
In
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