Frieden im Heiligen Land und im
gesamten Nahen Osten
Kleine
konkrete Schritte, die beide Seiten tun können, um sich der Versöhnung
anzunähern
Gottfried Hutter, Theologe, Psychotherapeut, Autor dieser
Friedensinitiative, Gründer und Vorsitzender des Tempel-Projekt e.V.
Überblick: Ohne Religion, rein säkular, gibt es keine Lösung * Es braucht Mitgefühl
statt Beschuldigung * Juden müssen den Schmerz der Muslime fühlen * Das
Mitgefühl der Juden wird die Muslime bewegen * Mit neu erweckter Barmherzigkeit
werden die Muslime auch ihren Glaubensbrüdern begegnen * Mit muslimischer
Barmherzigkeit wird Frieden im gesamten Nahen Osten erreicht werden * Rückkehr
zu den Wurzeln des Islam * 1300 Jahre lang lebten Juden mit Muslimen in Frieden
als Schutzbefohlene des Islam * Judenverfolgung im Westen und das Ende des
osmanischen Reiches führten zum Staat Israel * Eine Versöhnungszeremonie nach
dem Vorbild des Stammvaters kann den Weg zum Frieden ebnen * Die Führer der
Muslime, der Juden und der Christen können diesen Weg vorzeichnen
Ohne Religion, rein säkular, gibt es
keine Lösung
Weite Teile
des Nahen Ostens befinden sich heute in Aufruhr. Daher mag das, worum es in den
folgenden Absätzen geht, manchen als weit entfernt von der Realität erscheinen.
Aber ein tieferer Blick wird zeigen, dass es hier um das Herz der Angelegenheit
geht: den Konflikt, der entstand, als eine fremde, nichtislamische Entität ins
Herz der muslimischen Umma
eingepflanzt wurde: Israel.
Weder das noch die hier vorgeschlagenen Schritte passen in
die strikt säkulare Weltanschauung, die von Medien und Politikern des Westens
als die einzig wahre präsentiert wird. Aber ist diese rein säkulare Weltsicht
dem Großteil der Menschen des Nahen Ostens nicht völlig fremd? Ist es daher
nicht an der Zeit, dass wir das respektieren und das bislang ungenutzte
Friedenspotential der Religion wiederentdecken, also der großen Abrahamischen Traditionen der Bibel und des Koran, und
damit fähig werden, einen für alle akzeptablen Weg zu wirklichem Frieden zu
erkennen? Sollten die Christen nicht eher den biblischen Weg der Versöhnung
empfehlen als sich auf den rein säkularen Standpunkt westlicher Politik zu
stellen, der den Kern des Konflikts gar nicht erfassen kann?
Mitgefühl statt Beschuldigung
Bis zum
heutigen Tag scheint keine der Konfliktparteien wirklich an Frieden
interessiert zu sein, denn trotz all des erlebten Grauens und Leidens haben
beide Parteien ihre Aufmerksamkeit hauptsächlich darauf gelenkt, der anderen
Seite die Schuld an dem Konflikt zuzuschieben – oder einer dritten Seite.
Nur wenn
beide Parteien selbst die Verantwortung übernehmen, wird Frieden möglich sein.
Um Frieden
im Heiligen Land zu erreichen, werden beide Parteien Mitgefühl zeigen müssen.
Hoch
verehrte religiöse Entscheidungsträger von Juden und Muslimen, Ihre Anhänger
hören auf Ihre Stimme. Bitte regen Sie Ihre Anhänger dazu an, den Schmerz der
anderen Seite zu fühlen.
Verehrte
Entscheidungsträger der Muslime, bitte regen Sie ihre Anhänger dazu an, den Mut
und die Großzügigkeit der großen Tradition des Islam zu üben und den Schmerz zu
fühlen, den Juden zu der Zeit fühlten, als der Völkerbund den Briten den
Auftrag erteilte für die Juden eine neue Heimat in Palästina vorzubereiten. Das
zu tun, wäre ein wahrhaft not-wendiger Schritt in Richtung Frieden.
Verfolgt in
ganz Europa lange vor dem Holocaust brauchten die Juden damals ganz dringend
einen Platz, an dem sie in Sicherheit leben konnten. Und neue Wellen von Antisemitismus in der Gegenwart zeigen, dass
diese Gefahr noch nicht vorüber ist; möglicherweise wird sie nie vorüber sein.
Die Juden müssen daher die muslimische Umma um Verständnis bitten; sie müssen sie um ein Willkommen
bitten – in ihrer alten biblischen Heimat. Diese Bitte auszusprechen, wäre ein
bedeutender Schritt in Richtung Frieden auf jüdischer Seite.
Sobald die
Muslime fähig sein werden, den Schmerz der Juden zu fühlen, wird es für die
muslimische Umma
ganz natürlich sein, ihre jüdischen Brüder und Schwestern mitfühlend willkommen
zu heißen – „im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen“, „bismillâhirrahmânirrahîm“.
Juden müssen den Schmerz der Muslime
fühlen
Während sie
ihr Bedürfnis nach einem Platz artikulieren, an dem sie in Sicherheit leben
können, müssen die Juden auch den Schmerz fühlen, den die Muslime erleiden
mussten, als die Juden sich mit Macht in dem Gebiet ausgebreitet haben, das
einst ihre biblische Heimat war, das inzwischen aber – seit weit mehr als
tausend Jahren – der muslimischen Umma heilig war. Erst wenn die Juden diesen Schmerz der
Muslime fühlen können, werden sie fähig sein zu wahrem Mitgefühl. Und dann
werden sie auch die Notwendigkeit erkennen, diese Einsicht auszudrücken – im
Namen ihres Vaters „Israel“, der selbst in einem großmütigen Akt der Versöhnung
der Berufung Abrahams gerecht geworden ist.
Als der
Staat Israel gegründet wurde, waren die Juden zu sehr in Aufruhr, um im vollen
Umfang die Wirkungen wahrnehmen zu können, die die Massenbewegung ihrer Suche
nach Zuflucht auf andere hatte. Aber heute sind sie in einer Position, in der
sie es sich leisten können, die Verletzung zu fühlen, die die Einpflanzung des
Staates Israel für die muslimische Umma bedeutet hat.
Der Name,
den sie dem neu errichteten Staat gegeben haben, „Israel“, wird sie für alle
Zeiten an jene Versöhnung erinnern, die ihrem Stammvater Jakob vor tausenden
von Jahren das Leben gerettet hat.
Die Bibel
(Genesis 32,23-33,4) erzählt uns, dass Jakob den Namen „Israel“ bekommen hat,
bevor er, nach vielen Jahren im Exil, seinem Bruder Esau wiederbegegnet ist.
Jakob hatte fliehen müssen, weil sein Bruder Esau ihn töten wollte, weil er
sich durch ein Täuschungsmanöver den Segen seines Vaters erschlichen hatte, den
dieser für Esau vorgesehen hatte. Nach mehr als zwei Jahrzehnten wollte Esau
seinen Bruder immer noch umbringen. Deshalb erwartete er Jakob mit 400
bewaffneten Söldnern!
Die Nacht
bevor er auf seinen Bruder treffen würde, verbrachte Jakob in Einsamkeit und im
Gebet. Und im Gebet begegnete Jakob Gott. Die zu erwartende Schlacht mit seinem
Bruder vorwegnehmend, verwickelte ihn Gott in einen Kampf mit ihm selbst. Der Kampf
wurde derart intensiv, dass Jakob eine Hüfte ausgerenkt wurde – und er von da
an nur noch hinkend gehen konnte. Offenbar aber hat ihm diese Erfahrung auch
gezeigt, wie er seinem ihm feindlich gesinnten Bruder begegnen musste.
Für diese
Einsicht gab Gott dem Jakob einen neuen Namen. Es war „Israel“, der mit Gott
gekämpft und bestanden hat.
Als Jakob
seinem Bruder am nächsten Tag gegenübertrat, verbeugte er sich siebenmal tief
vor ihm.
Esau war so
sehr bewegt von dieser Geste, dass er seine Soldaten vergaß. Er bückte sich zu
seinem Bruder nieder, er hob ihn zu sich empor, er umarmte ihn und er liebkoste
ihn.
Das ist der
große biblische Archetyp dessen, was heute zwischen den beiden Brudervölkern,
Juden und Muslimen, geschehen muss.
Das Mitgefühl der Juden wird die
Muslime bewegen
Wie in dem
biblischen Beispiel müssen die Juden Mitgefühl zeigen für die Menschen des
Landes, das sie eingenommen haben.
Das
Mitgefühl der Juden wird wiederum das Mitgefühl der Muslime wecken und das wird
die muslimische Umma
befähigen, die Juden willkommen zu heißen.
Die Umma kann sich
der Militärmacht Israels nicht beugen, aber mit Sicherheit kann sie sich
barmherzig zeigen den Juden gegenüber, die auch heute noch um ihre Existenz
fürchten.
Und
islamische Barmherzigkeit wird die Muslime dazu bewegen, die Juden nicht unter
die Muslimische Herrschaft zu zwingen; mit islamischer Barmherzigkeit werden
die Muslime ihren Raum mit den Juden teilen – sogar den Raum von al Haram ash Sharif!
Mit neu erweckter Barmherzigkeit
werden die Muslime auch ihren Glaubensbrüdern begegnen
Und mit
dieser Erneuerung und Blüte islamischer Barmherzigkeit, werden sich auch Wege
öffnen für friedvolle Übereinkünfte mit den anderen islamischen Bekenntnissen.
Mit islamischer Barmherzigkeit werden unterschiedliche Gruppen von Muslimen
einander als eine Bereicherung willkommen heißen, anstatt die anderen als eine
Bedrohung zu empfinden. Damit werden die Muslime dem koranischen
Gebot des Wettbewerbs in der Tugend folgen (Sure 5,48). Und indem sie in der
Tugend miteinander wetteifern, kann jede Gruppe ihren Lebensraum auch mit jeder
anderen islamischen Gruppe teilen – sobald dem Prinzip der Barmherzigkeit
wieder jener theologische Vorrang eingeräumt wird, den es im Koran hat.
Mit muslimischer Barmherzigkeit wird
Frieden im gesamten Nahen Osten erreicht werden
Auf diese
Weise kann Frieden erreicht werden – Frieden mit Israel und auch Frieden
zwischen Sunniten und Schiiten und mit den verschiedenen anderen Gruppen von
Muslimen. Mit islamischer Barmherzigkeit wird Friede eine reale Möglichkeit für
den gesamten Nahen Osten.
Verehrte
religiöse Führungspersönlichkeiten, bitte wählen Sie den Weg zum Frieden als
Ihre alles überragende Verpflichtung.
Wenn ein
friedliches Zusammenleben der Religionen in Andalusien möglich war und im
osmanischen Reich, und wenn es jetzt, nach Jahrhunderten von Feindseligkeiten,
in Europa selbstverständlich geworden ist, warum sollte es dann nicht auch im
islamischen Raum möglich sein?
Mit islamischer
Barmherzigkeit kann Frieden im gesamten Nahen Osten erreicht werden. Die
muslimischen Könige können das erreichen, indem sie es zu ihrem Herzensanliegen
machen.
Ich hoffe
sehr, dass König Abdullah II. von Jordanien, König Mohammed VI. von Marokko und
König Salman von Saudi Arabien mich dazu persönlich anhören werden.
Die Rückkehr zu den Wurzeln des Islam
Muss nicht
die muslimische Umma
um ihrer selbst willen zum innersten Wesen des Islam zurückkehren, zur
islamischen Barmherzigkeit? Ist nicht genau das die von allen lange ersehnte
Rückkehr zu den Wurzeln des Islam?
Mit
islamischer Barmherzigkeit wird Friede zu einer realen Option, Friede mit
Israel und Friede innerhalb des Islam.
1300 Jahre lang lebten Juden mit
Muslimen in Frieden als Schutzbefohlene des Islam
Und bitte
bedenken Sie auch das: 1800 Jahre lang gab es keinen jüdischen Versuch, die
alte biblische Heimat wieder zu besiedeln. Es hat sich einfach keine
Gelegenheit dafür geboten und es war auch nicht notwendig.
Bis zur
Ankunft des Zionismus konnten die Juden auch unter Muslimen in Frieden leben,
indem sie den Status akzeptierten, den das islamische Recht, die Sharia, für sie
vorsah, nämlich als Dhimmis,
als Schutzbefohlene der muslimischen Umma. Aber als Schutzbefohlene konnten sie ihre alte
biblische Heimat nicht wieder in Besitz nehmen, denn die befand sich jetzt im
Besitz ihrer Schutzherren. Und sie konnten ihr altes Heiligtum, den Tempel,
nicht wiedererrichten, denn dessen Platz war nun belegt von einem der größten
Heiligtümer des Islam, von al Haram ash Sharif, dem
Edlen Heiligtum, der Al Aqsa Moschee. Wer das
bedenkt, versteht die Grundeinstellung vieler Muslime zu Israel sofort – auch
wenn diese Einstellung heute fast nur noch vom Iran ganz klar ausgesprochen
wird.
Judenverfolgung im Westen und das
Ende des osmanischen Reiches führten zum Staat Israel
Die
Gelegenheit für einen eigenen Staat bot sich erst, als der Zusammenbruch des
Osmanischen Reiches nach dem ersten Weltkrieg in diesem Gebiet ein Machtvakuum
erzeugte – gerade zu einer Zeit als die Verfolgung von Juden in Europa
zunehmend unerträglich wurde.
In dieser
historischen Nische beauftragte der Völkerbund die Briten damit, eine neue
Heimat für das jüdische Volk vorzubereiten. Und nach dem Holocaust und dem
zweiten Weltkrieg ordneten die Vereinten Nationen die Teilung Palästinas an und
wiesen den Juden einen Teil des geteilten Landes zu. Vorbereitet durch
zionistische Ideen konnten die Juden diese Gelegenheit nun ergreifen und ihren
eigenen Staat ausrufen.
Das konnte
die muslimische Umma
natürlich nicht hinnehmen. Die Sharia erlaubte keinen unabhängigen jüdischen Staat auf
muslimischem Gebiet. Die Umma
sah daher keine andere Möglichkeit, als auf die Staatsgründung Israels mit
Krieg zu reagieren.
Logischerweise
wollten die Juden das, was sie gerade erst erreicht hatten, nicht wieder
aufgeben. Im Gegenteil, im Krieg von 1948 konnten sie den israelischen Staat
nicht nur bestätigen, sondern sie konnten dessen Gebiet noch erweitern – auch
durch Vertreibung einer dreiviertel Million von Palästinensern. Wiederholte
muslimische Versuche, das ungeschehen zu machen, führten 1967 zur vollständigen
Besetzung der palästinensischen Gebiete durch Israel.
Das konnte
die Muslime natürlich nicht motivieren, die Juden willkommen zu heißen, es
verstärkte ihre Ablehnung. Die Feindschaft zwischen den beiden Seiten
intensivierte sich. Und die beiden Intifadas, die
später folgten, konnten die Israelis nicht dazu motivieren, die Palästinenser
in die Unabhängigkeit zu entlassen; sie führten nur dazu, dass die israelische
Regierung eine Trennungsmauer gegen sie errichtete, wodurch die Härten des
Lebens für die Palästinenser erheblich intensiviert wurden. Und das war erneut
nicht dazu angetan, die Israelis willkommen zu heißen.
Auf der
anderen Seite ist Israel nicht gewillt, irgendwelche Risiken einzugehen.
Garantierte Sicherheit ist ihre Vorbedingung für Frieden. Doch wie könnte diese
Sicherheit je erreicht werden?
Eine Versöhnungszeremonie nach dem
Vorbild des Stammvaters kann den Weg zum Frieden ebnen
Ich meine,
dass nur islamische Barmherzigkeit diese Sicherheit garantieren kann! Aber
wodurch kann die dafür nötige islamische Barmherzigkeit hervorgerufen werden?
Ich meine,
dass die Muslime ihre islamische Barmherzigkeit wiederfinden können, indem sie
die Schmerzen der Juden fühlen, die zu deren zionistischem Projekt geführt
haben. Ich meine aber auch, dass es den Muslimen wesentlich leichter fallen
würde, die Juden in diesem Land willkommen zu heißen, wenn Israel ihnen heute
eine Versöhnungszeremonie anbieten würde, die an die Versöhnung ihres
Stammvaters Jakob/Israel mit seinem Bruder Esau erinnert.
Die Führer der Muslime und der Juden
können diesen Weg vorzeichnen
Damit das
aber möglich wird, verehrte Führer der Muslime, bitten Sie bitte Ihre Anhänger,
den Schmerz und die Angst zu fühlen, die das Motiv hinter dem gesamten
zionistischen Projekt waren.
Und dann,
verehrte Führungspersönlichkeiten der Muslime, empfehlen Sie bitte der
Regierung Israels, den Name „Israel“ gebührend zu würdigen und im Gedenken an
die Rückkehr ihres Vaters Jakob aus seinem Exil eine der heutigen Situation
angemessene Versöhnungszeremonie zu veranstalten – auch wenn dieses Ereignis im
Koran nicht erwähnt wird.
Bitte
stützen Sie sich auf die biblische Geschichte, die den Namen „Israel“ als ein
Symbol für Israels Fähigkeit zu höchstem Mitgefühl beschreibt. Bitte bitten Sie
Israel dieses Mitgefühl heute zu zeigen.
Und bitte
empfehlen Sie dieses Vorgehen den Majestäten in der Welt des Islam, an König
Abdullah von Jordanien, an König Mohammed von Marokko und an König Salman von
Saudi Arabien. Bitte empfehlen Sie den Majestäten, die Schmerzen der Juden zu
fühlen, denn diese Schmerzen haben dazu geführt, dass die fremde Entität Israel
im Herzland der Umma
angesiedelt worden ist.
Wenn die
Schmerzen beider Seiten einmal in ihrer ganzen Tiefe verstanden werden, wird es
keine Feinde mehr geben. Dann wird es nur Maßnahmen geben, die geeignet sind,
alle Schmerzen der Vergangenheit aufzulösen, ohne weitere Leiden zu
verursachen.
(30. 8. 2015)
Information und Kontakt: www.Tempel-Projekt.de; gottfried.hutter@gmx.de
In Deutschland von der Steuer
absetzbare Spenden bitte an: Tempel-Projekt e.V., IBAN: DE93 7015 0000
1001 2410 31, SWIFT-BIC: SSKMDEMM