Einführung
Podiumsdiskussion, 6. April 2005
Meine sehr verehrten Damen und Herren hier im Saal und an den
Bildschirmen zu Hause!
Wir werden heute über ein brennendes Thema sprechen, wenn nicht sogar über
den Kern des großen Kulturkonflikts, der die Welt seit dem 11. September 2001
in Atem hält: Wie kann Frieden werden in Israel und in Palästina? Und im
Besonderen: Wie können die drei abrahamitischen
Religionen zum Frieden im Nahen Osten beitragen?
Während von politischen Friedensbemühungen der verschiedensten Art
täglich in den Medien berichtet wird, ist von Friedensbemühungen der Religionen
wenig die Rede. Die Religion wird in der Öffentlichkeit eher als ein Problem
betrachtet, weil viele Extremisten und Terroristen sich gerade auf ihre
Religion berufen. Aus diesem Grund ist das religiöse Zentrum des Konflikts
bisher aus allen Friedensverhandlungen ausgeklammert worden, der Tempelberg.
Der Tempelberg, oder, wie die Muslime sagen, „Haram
al Scharif“, wird sowohl von den Juden als auch von
den Muslimen als ihr heiliger Bezirk betrachtet. Und deshalb könnte es sein,
dass wirklicher Friede im Heiligen Land nicht erreicht werden kann, bis mit
friedlichen Mitteln geklärt ist, wem auf diesem Platz welche Rechte zukommen.
Friede im Heiligen Land braucht deshalb zuerst Frieden zwischen den
drei Religionen, die heute hier bei diesem Gespräch vertreten sind. Und dieser
Friede muss die zentrale Streitfrage in dem Konflikt ganz konkret einbeziehen,
nämlich die widersprüchlichen Ansprüche auf den Tempelberg.
Damit Sie das Lösungsbild, das heute hier zur Debatte steht, besser
verstehen können, möchte ich etwas dazu sagen, wie es entstanden ist:
Dazu muss ich vorausschicken, dass ich katholischer Theologe bin,
Politikwissenschaften studiert habe und vor 24 Jahren mehr als ein Jahr lang zu
Gast in einem islamischen Sufi Orden war, vorwiegend in Ägypten. Dadurch hatte
ich Gelegenheit, den Islam sehr gut kennen und schätzen zu lernen, und zwar von
innen. Seither habe ich nicht den geringsten Zweifel, dass der Islam eine
gottgewollte Religion ist und dass er denen tatsächlich Frieden bringt, die
sich wirklich auf ihn einlassen.
Ich habe mich anschließend sehr intensiv mit dem spirituellen Judentum
beschäftigt und zwar mit einer chassidischen Richtung
und dabei erfahren, dass das Judentum eine sehr lebendige Religion ist, die
Menschen tatsächlich in einen wirksamen Bund mit Gott führt.
Trotz dieser schönen Erfahrungen bin ich bei meiner eigenen,
christlichen Religion geblieben, weil ich das alles dort auf ähnliche Weise
finde.
Auf diese Weise ist mir klar geworden, dass von den drei abrahamitischen Religionen nicht nur eine einzige richtig
ist, sondern dass, genau betrachtet, alle drei richtig sind, jede auf ihre Art.
Als ich den Konflikt, den das Attentat des 11. September 2001 zutage
treten hat lassen, von diesen Voraussetzungen her betrachtete, wurde mir klar,
dass eine wirkliche Lösung eine wesentliche Bedingung hat: Alle müssen
gewinnen. Es darf keine Verlierer geben.
Nur wenn alle gewinnen, kann es Frieden geben.
Das Lösungsbild, um das es in dem heutigen Gespräch gehen wird, stammt
aus dieser Art Blick auf den Tempelberg: Alle müssen gewinnen.
Die letzte Intifada ist nach einem Besuch des
damaligen israelischen Oppositionspolitikers Sharon auf dem Tempelberg
gestartet worden. Obwohl dieser Besuch von der zuständigen islamischen Behörde
genehmigt war, ist er von vielen Muslimen offenbar so verstanden worden, dass
die Israelis jetzt Anspruch auf den Tempelberg erheben, der doch das
dritthöchste Heiligtum des Islam beherbergt.
Auf diese Weise ist es zu einer ungeheuren Eskalation von Misstrauen
und Hass gekommen mit grauenhaften Folgen für beide Seiten. Diese Eskalation
beruht auf beiden Seiten auf der leider auch sonst üblichen Art mit Konflikten
umzugehen, nämlich auf dem Glauben, dass der andere, der Gegner, besiegt werden
muss.
Betrachten Sie daher bitte jetzt mit mir dem Tempelberg auf die andere
Art: Alle können gewinnen.
Mitten auf dem Tempelberg steht seit 1300 Jahren das dritthöchste
Heiligtum des Islam, der Felsendom. Aber jetzt möchte eine zwar kleine, aber
doch bedeutende Gruppe von Juden an diesem Platz, an dem in der Antike ihr
Tempel gestanden hat, einen neuen Tempel aufbauen - und dazu den Felsendom abreißen. Eine
äußerst explosive Kombination.
Dabei dürfen die meisten religiösen Juden den Tempelberg gar nicht betreten,
weil sie dabei die Stelle entweihen könnten, auf der das Allerheiligste des
früheren Tempels gestanden hat.
Wie sollen unter diesen Umständen alle gewinnen können?
Als das Lösungsbild zum ersten Mal bei mir auftauchte, wollte ich es
gleich wegschieben, weil es mir so banal erschien, aber umso öfter ich es
betrachtete, umso klarer wurde mir, dass diese Lösung tatsächlich alle zu
Gewinnern macht:
Wenn der neue Tempel den alten Tempelberg nicht antasten darf, dann
muss er darüber errichtet werden und zwar so hoch darüber, dass er den Anblick
des Felsendoms nicht stört.
Um auszutesten, ob die Idee nicht vollkommen verrückt ist und ob sie
architektonisch machbar ist, baute ich ein primitives Modell, fotografierte es
und schickte die Bilder zuerst an Daniel Libeskind,
der später den Auftrag erhalten hat, das World Trade Center wieder aufzubauen.
Die Antwort kam postwendend. Daniel Libeskind stimmt
zu. Einer der größten Architekten unserer Zeit findet die Idee nicht nur
verwirklichbar, er kann in ihr tatsächlich eine Lösung sehen – denn am Ende
ergibt die neue Konstruktion zusammen mit dem Felsendom das Bild eines
gemeinsamen Heiligtums für alle drei abrahamitischen
Religionen, ein überraschendes Bild des Friedens.
Es dauerte nicht lange, bis ich von einer großen Zahl sehr bedeutender
Persönlichkeiten aus allen Teilen der Welt zustimmende und unterstützende
Antworten hatte.
Eines der weiteren Resultate ist diese Veranstaltung heute.
Und damit möchte ich das Wort an die Gäste der heutigen Veranstaltung
übergeben.
Ich hoffe, wir werden in diesem Gespräch erleben, wie alle gewinnen
können.
Schlussworte:
Unser Gespräch hat mir – und hoffentlich auch Ihnen, verehrte Zuseher –
etwas sehr Heilsames gezeigt:
Alle können sehen, dass das besprochene Modell ein sehr schönes Bild
des Friedens zeigt, weil jede der drei abrahamitischen
Religionen darin von jeder ihrer beiden Schwesterreligionen annehmen darf, dass
sie die Beziehung der Geschöpfe zu ihrem Schöpfer in gültiger Weise darstellt.
Keine von ihnen braucht eine der anderen als überholt oder als degeneriert oder
als anmaßend betrachten. Alle drei können sehen, dass jede von ihnen, zumindest
ihrer Potenz nach, wenn auch nicht in jeder ihrer Ausprägungen, eine echte,
gottgewollte Religion ist, so wie sie selbst auch.
Es kann daher keinen Konflikt zwischen den Religionen geben, sondern
nur Zusammenarbeit.
Um diese Zusammenarbeit auf eine für alle sichtbare Grundlage zu
stellen, sollte ein gemeinsames Symbol geschaffen werden, das ihr Verhältnis
zueinander darstellt.
Das Symbol, das dieses Verhältnis in idealer Weise darstellt, ist das
eben besprochene gemeinsame Heiligtum der drei Religionen genau an dem Ort, der
von allen dreien als konstitutiv betrachtet wird: durch das Opfer des Abraham,
durch Tod und Auferstehung Jesu und durch die Himmelfahrt des Propheten
Mohammed.
Ich bedanke mich sehr herzlich bei allen, die am Zustandekommen dieses
fruchtbaren Gesprächs beteiligt waren, insbesondere bei den Gästen am Podium.
Ihnen allen wünsche ich noch einen schönen Abend und eine friedliche Zukunft.
Danke.