Eine interreligiöse
Friedensvision für Israel/Palästina
Vorbemerkung:
Die folgende Präsentation von
Bildern einer möglichen Lösung will zum Nachdenken und zu einer Neubeurteilung der
Situation anregen – denn die Vorstellungen und die Gefühle der Menschen auf
beiden Seiten müssen in Fluss kommen, wenn die festgefahrene Lage überwunden
werden soll. Erst dann kann sich eine Lösung ergeben, mit der alle Parteien
zufrieden sind.
Durch
die Etablierung eines jüdischen Staates in einem – aus muslimischer Sicht –
islamischen Kernland, ist ein Konflikt entstanden, der allen Bemühungen um eine
Lösung trotzt. Das ist die Situation mehr als 60 Jahre nach der Staatsgründung
Israels. Warum ist es so schwer, eine politische Lösung zu finden?
Nach Jahrzehnten
intensiver Auseinandersetzung mit den Religionen des Nahen Ostens meine ich,
dass rein politische Lösungsversuche nicht ausreichen, weil dieser Konflikt in seinem innersten
Kern gar nicht politisch ist.
Es
ist ein Konflikt der Identitäten,
die immer mit der gesamten Geschichte der Völker verbunden sind –
einschließlich der Legenden – und die daher viel tiefer gehen, als irgendeine
©“Pictorial Library of Bible Lands”, Bd. 3, www.bibleplaces.com
Die heiligen Orte in Jerusalem
zwischen Tempelberg / Haram ash-Sharif und Grabeskirche
politische Ideologie
gehen könnte. Damit ist der Hintergrund viel
profunder religiös als gewöhnlich angenommen. Besonders Menschen, die sich
als areligiös sehen, sollten das mit bedenken. Letztlich ist es ein
Geschwister-Zwist unter den Kindern Abrahams, dem gemeinsamen Vater von Juden,
Muslimen und Christen.
Das zeigt sich in aller
Deutlichkeit in dem Konflikt um den Tempelberg in Jerusalem, der das
symbolische Herz des gesamten Nahostkonflikts zu sein scheint. Da dieses kleine
Grundstück mit den Identitäten von Milliarden von Menschen verknüpft ist, ist
der Zündstoff, den es enthält, nahezu unerschöpflich. – Solange dieser Rechtsstreit
nicht gelöst ist, kann meines Erachtens der ganze Nahe Osten nicht zur Ruhe
kommen.
Aus
diesen Einsichten ist für mich das Bild einer Lösung entstanden, das den Wert
des Tempelbergs für Juden und Muslime gleichermaßen berücksichtigt: ein gesamt-abrahamisches Heiligtum. Es wird möglich, wenn die Juden
jetzt das bekommen, wofür sie seit 2000 Jahren beten, einen Neuen Tempel.
Viele Juden werden nun
sagen: Wir brauchen keinen Neuen Tempel, der Messias wird ihn in seinen Tagen
bringen. Darauf möchte ich sagen: Es sind jetzt nicht die Juden, die einen
neuen jüdischen Tempel brauchen, es sind die Muslime: Seit die Juden wieder in
ihre biblische Heimat zurückgekehrt sind, haben viele Muslime nämlich Angst um
ihre Heiligtümer dort. Sie wissen, dass ihre heiligen Stätten auf dem Gelände
des ehemaligen Tempels stehen und dass sie daher eines Tages einem Neuen Tempel
zum Opfer fallen könnten.
Und diese Angst kann
ihnen nur ein realer neuer jüdischer Tempel nehmen.
Das folgende
Lösungsbild zeigt einen Weg, wie sich der Traum der Juden von einem Neuen
Tempel erfüllen kann, ohne dass den Muslimen etwas genommen wird.
Alle drei abrahamischen Religionen werden auf diese Weise gewinnen.
Und die Welt wird aufatmen können, denn was aller Anti-Terror-Kampf nicht
vermag, wird auf diese Weise möglich werden: Entspannung und Frieden.
Wie kann das gehen?
Die erste Voraussetzung dafür ist, dass sich die Juden klar machen, wie sie in
diesem Konflikt ihre Berufung erfüllen können, auserwähltes Volk zu sein. Ein
wahrhaft auserwähltes Volk wird in einer solchen Lage heilend wirken wollen.
Als Heiler werden die
Juden bemerken und anerkennen, dass die Muslime sich ernsthaft bemühen, dem
Lebensziel ihres gemeinsamen Stammvaters Abraham gerecht zu werden, nämlich Frieden
zu erlangen durch Hingabe an Gott. Damit werden sie die Muslime als ihre
wirklichen Brüder und Schwestern erkennen.
Ähnlich wird es den
Juden mit den Christen gehen, denn auch sie bemühen sich mit all ihrer Kraft
darum, Gottes Ruf zu folgen. Und damit sind auch sie ihre authentischen Brüder
und Schwestern.
Durch diese tiefen
Einsichten erwächst den Juden eine neue Aufgabe, nämlich als verbindendes
Element zwischen den Kindern Abrahams zu wirken.
Und das führt dazu, dass sich ihre Vision eines
Neuen Tempels grundlegend wandelt: Weil ihnen jetzt eine Mittlerfunktion
zwischen den Kindern Abrahams zukommt, sehen sie jetzt die Möglichkeit für
einen neuen Standort für ihren neuen Tempel, nämlich nicht mehr unbedingt auf
dem Tempelberg, wo die vorangegangenen Tempel gestanden haben, sondern als Brücke zwischen den Heiligtümern der
Muslime auf dem Tempelberg und dem alten Heiligtum der Christen, der
Grabeskirche – er könnte aber auch auf einer Plattform über den
gegenwärtigen islamischen Heiligtümern errichtet werden – oder an einem ganz
anderen Ort, wie dem heute kaum bebauten Berg Zion.
Wenn die Juden die
Muslime wirklich als ihre Brüder und Schwestern anerkennen, werden sie sogar
fähig, den Tempelberg ganz den Muslimen zu
überlassen – und damit ein Zeichen zu setzen, das für die ganze Welt als
Zeichen der Hoffnung wirkt.
Möglicherweise werden die Muslime von dieser großen Geste
der Juden tief bewegt. Sie betrachten ihre Beziehung zu ihnen neu und
beginnen, das alte Gesetz der Sharia zu überdenken, das Angehörige anderer Religionen im
islamischen Raum dazu verpflichtet, sich dem Islam unterzuordnen. Sie werden
Rat im Koran suchen und finden, dass Sure
5,49 von einem „Wettbewerb der
Tugend“ zwischen den abrahamischen Religionen
spricht und damit den Muslimen nahe legt, die Vielfalt der drei abrahamischen Religionen zu begrüßen – sogar innerhalb des
traditionell islamischen Gebiets. Und das eröffnet eine völlig neue
Perspektive: dauerhafter Friede mit Israel wird damit auch von der Sharia her
möglich.
Im Sinn dieses
Wettbewerbs der Tugend könnten die Muslime sogar auf die Idee kommen, den Juden
den ganzen ursprünglichen Platz für ihren Tempel zur Verfügung zu stellen,
nämlich indem sie sich dazu entschließen, den Felsendom abzutragen und südlich
der Al Aqsa auf gleicher Höhe wiederzuerrichten
– technisch heute kein Problem. Aufgabe der Juden in diesem Szenario wäre es,
am Tempelberg alle Plätze in Ehren zu halten, die in den Erzählungen über die
Nachtreise des Propheten von Bedeutung sind.
Wenn der Tempel nicht
auf dem Tempelberg errichtet wird, werden die Muslimen eine andere wichtige
Aufgabe zu erfüllen haben: Um den Tempel
in seiner Hauptfunktion wiederherzustellen, nämlich die Schechinah zu
beherbergen, die Wohnstatt Gottes, muss, gemäß Halacha,
der Neue mit den vorangegangenen Tempeln verbunden werden. Dazu muss der
Grundstein, der einen bestimmten Punkt unter dem Allerheiligsten markiert, am
Tempelberg ausgegraben und am neuen Ort präzise installiert werden. – Am Ausmaß
dieser Umwälzung würde die Welt erkennen, dass der neue Ort des Tempels nun
endgültig ist und dass die Heiligtümer der Muslime für alle Zukunft gesichert
sind.
Mit dem Entschluss der
Juden, zu Heilern zu werden, ist der Wendepunkt
eingetreten. Da der Tempel als Brücke
zwischen den Kindern Abrahams dienen wird, ist der Friede greifbar. Mit der
Errichtung des bis jetzt fehlenden Tempels wird ein großes gesamt-abrahamisches Heiligtum geschaffen, das aus drei
Heiligtümern von drei Religionen besteht. Damit
wird die geistige Einheit der drei Religionen bestätigt und gleichzeitig ihre
wunderbare Vielfalt dargestellt.
Was
aber ist mit den nichtreligiösen Angehörigen dieser drei Kulturgruppen?
Nicht erst in unserer
Zeit zeigt sich, wie verhängnisvoll religiös definierte Identitäten werden können,
wenn sie sich als allein gültig betrachten. Doch gerade der Stammvater der drei
Kulturgruppen, Abraham, kann diese
Gefahr bannen. Er hat ja seine Familie,
sein Land und seine ganze Tradition hinter sich gelassen, um unter völlig
unbekannten Umständen, in einem fremden Land, völlig auf sich gestellt, die Wahrheit über das Leben neu zu
entdecken. Einen ähnlich fragenden Geist und ähnliches Vertrauen in die
eigene innere Führung wie in Abraham wirkt heute auch in nichtreligiösen
Angehörigen der drei Kulturen. Auch sie misstrauen ihrer Tradition, weil sie
unter deren Problemen leiden und sie suchen daher selbst nach der Wahrheit.
Darin sind sie dem Stammvater der drei Traditionen treu. – Natürlich sind auch
die Nichtreligiösen keine Heiligen und auch unter ihnen werden manche
gefährliche Identitäten ausbilden. Aber die Nichtreligiösen spielen eine
wichtige Rolle in der Lösung des Konflikts, indem sie zeigen, dass dieses neue Heiligtum ein Ort der
Bewusstheit sein muss und nicht nur ein Ort, der eine Tradition
reproduziert. Das große abrahamische Heiligtum wird
definitiv ein Ort der Bewusstheit sein, weil es die unterschiedlichen
Traditionen der Juden, Christen und Muslime zusammenführt und darüber hinaus
auch noch diejenigen einschließt, die sich von diesen Traditionen losgesagt
haben, um selbst die Wahrheit zu entdecken. Dieses große Heiligtum wird daher ein Ort fundamentalen Menschseins
sein, und dadurch kann es wirkliche Erlösung hervorbringen.
Bis jetzt ist jeder
einzelne der abrahamischen Wege überwiegend selbstbezogenen. Die Menschen, die ihn gehen, sind versucht,
sich in ihren Schmerz und in ihren Stolz hineinfallen lassen und dann die
Angehörigen der jeweils anderen Wege als die Schuldigen zu betrachten. Doch an dem Ort, an dem alle diese Wege
zusammentreffen, nämlich in dem großen neuen gesamt-abrahamischen
Heiligtum, können alle ihren gemeinsamen Ursprung sehen und damit auch die
Möglichkeit, in Frieden zusammen zu leben.
Gottfried Hutter, Theologe,
Historiker, München
Tel. +49-89-4471 8971, gottfried.hutter@gmx.de
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