Die vielen Religionen, die eine wahre Religion und der Weg
zum Frieden im Heiligen Land
GOTTFRIED HUTTER,
Theologe, Psychotherapeut, München, Gründer und Vorsitzender des Tempel-Projekt
e.V.
Jede der Religionen des Nahen Ostens behauptet,
die einzig wahre zu sein und doch unterscheiden sie sich so sehr, dass das doch
nicht sein kann – oder etwa doch?
Einer meiner Lehrer, der sudanesisches
Sufi-Scheich Mohammed Osman, sagte einmal zum Erstaunen vieler seiner Schüler:
„Es gibt nur eine wahre Religion – und es ist nicht die mit dem Namen Islam.“
Aus dem Mund eines Muslims hörte sich
das schockierend an – zumindest für seine muslimischen Zuhörer. Damit sie nicht
glaubten, er wäre plötzlich zum Ketzer geworden, erklärte er das gleich:
Die eine wahre Religion, sagte er,
ist „Islam“ im wörtlichen Sinn, nicht im Sinn der Bezeichnung einer bestimmten
Religion.
„Islam“ im wörtlichen Sinn ist jene
Geisteshaltung, so sagte er, die ein Mensch hat, der entschlossen ist, dem
Willen Gottes zu folgen, denn dem Willen Gottes folgen, erzeugt inneren
Frieden, Salam. Für den Propheten Mohammed, so sagte Scheich Mohammed Osman,
war der biblische Abraham das Musterbeispiel eines Muslims, weil er alle
Sicherheiten hinter sich gelassen und es gewagt hat, allein jener inneren
Stimme zu folgen, die er als die „Stimme Gottes“ erfahren hat.
Im Gehorsam auf diese Stimme ist
Abraham sogar so weit gegangen, dass er bereit war, seinen geliebten Sohn zu
opfern, weil diese Stimme ihn dazu aufforderte. Er hatte schon das Messer
angesetzt, als diese Stimme ihm gebot, innezuhalten.
Weil er dieser Stimme voll vertraute,
nennt der Prophet Mohammed Abraham den „Vater des Glaubens“. So wie Abraham,
sagte der Prophet, sollten alle handeln. Das sei “Islam“, Gehorsam gegenüber
Gott. Dieser Geist sollte die durch ihn entstehende neue Religion beseelen.
Als die neue Religion mit dem Namen
„Islam“ bereits existierte, bezog sich Mohammed auf seine ursprüngliche
Definition und bezeichnete manche Juden und manche Christen ebenso als Muslime,
weil auch sie dem Willen Gottes folgten, wenn auch auf andere Weise als die
Anhänger seiner neuen Religion.
In Hinblick auf diese Juden und
Christen wurde ihm ein Koranvers geoffenbart, in dem es in etwa heißt „wenn
Gott gewollt hätte, dann hätte er nur eine Religion für alle geschaffen, aber Gott
wollte unterschiedliche Religionen – um deren Anhänger in der Tugend
miteinander wetteifern zu lassen“ (Sure 5,48).
Weil viele Anhänger der alten
Religionen, Judentum und Christentum mittlerweile vorwiegend ihrer Tradition
folgten und vergessen hatten, dass es allein um den Willen Gottes geht, meinten
die begeisterten neuen Muslime, sie seien die einzigen, die darauf achteten.
Das ist mit ein
Grund dafür, dass in einer wichtigen Sharia-Regel
festgelegt wurde, dass die Angehörigen anderer Religion sich im islamischen
Stammgebiet der Religion namens Islam unterordnen sollten, um deren Schutz in
Anspruch nehmen zu können.
Am Anfang war der Gehorsam gegenüber
dem Willen Gottes natürlich auch im Judentum selbstverständlich. Dadurch kam auch
die Versöhnung der Brüder Jakob und Esau zustande. Dadurch war Jakob imstande, sich
seinem Bruder Esau zu ergeben, dadurch konnte sich Esaus Groll gegen Jakob lösen
und dadurch wurde die Versöhnung möglich.
Als die Wiedereinwanderung der Juden
nach Palästina im 18. Jahrhundert begann, aber war die überwiegende Motivation
dafür eine andere. Die neuen Einwanderer wollten vor allem eine eigene „jüdische“
Nation bilden.
Aus diesem Grund galt aus Sicht der
islamischen Umma, also aus der Sicht der
Gemeinschaft der Muslime, für diese neuen Einwanderer die Sharia-Regel für die Schutzbefohlenen, die eine gewisse
Unterordnung verlangt. Aber die neuen Einwanderer dachten gar nicht daran, sich
dem Islam unterzuordnen oder sich in dessen Schutz zu stellen. Das erregte den
Groll ihrer muslimischen Nachbarn und führte nach der Staatsgründung Israels zu
deren Angriff auf den neuen Staat. Und noch heute sprechen muslimische
Nachbarn, die betonen möchten, dass sie den Islam ernst nehmen, nicht von
„Israel“, um den neuen Staat zu benennen, sondern von der „Entität“, also von
dem Fremdkörper in ihrer Mitte.
Nun hat sich dieser Fremdkörper aber selbst
den Namen „Israel“ gegeben – und sich damit auf ein Ereignis bezogen, das für
Muslime ein Musterbeispiel des „Islam“ ist, nämlich die Versöhnung zwischen den
feindlichen Brüdern Jakob und Esau.
Jakob hatte, dem Willen Gottes
folgend, seinen Vater Isaak dazu gebracht, ihm den Erstgeburtssegen zu geben
und ihm damit den Auftrag seines Vaters Abraham anzuvertrauen, Stammvater eines
Volkes zu werden, das sich dem Willen Gottes verpflichtet fühlt. Esau, der
eigentlich der Erstgeborene war, war darüber so zornig, dass er seinen Bruder
umbringen wollte. Daher musste Jakob fliehen. Und als er nach mehr als zwei
Jahrzehnten wiederkehrte, wollte sein Bruder ihn immer noch töten.
In einem äußerst intensiven Gebet, das
Jakob als einen „Kampf mit Gott“ empfand, empfing Jakob den Auftrag, sich seinem
Bruder zu ergeben, sich bei ihm zu entschuldigen.
Indem Jakob nun erneut dem Willen
Gottes gehorchte und sich tatsächlich entschuldigte, verflog der Zorn seines
Bruders und die beiden versöhnten sich. Und damit empfing Jakob einen neuen
Namen, nämlich „Israel“, zu deutsch „der mit Gott gekämpft und obsiegt hat“.
Diese beiden Ereignisse, die
Wiederkehr Jakobs aus seinem 20-jährigen Exil und die Wiederkehr der Juden aus
ihrem fast 2000-jährigen Exil haben eine große Ähnlichkeit: Sowohl Jakob wie die
3000 Jahre später wiederkehrenden Juden waren in dem, was sie als ihr Zuhause
ansahen, nicht willkommen.
Jakob hat, indem er dem Willen Gottes
folgte, und sich seinem Bruder ergab, Versöhnung erfahren.
Für das moderne Israel steht eine
solche Versöhnung noch aus.
Könnte das moderne Israel die
Versöhnung nicht auf ähnliche Weise finden, wie Jakob?
Damit würde für Muslime erkennbar,
dass auch das moderne Israel gewillt ist, der Vision Abrahams und damit dem
Willen Gottes zu folgen, dass das moderne Israel also der Bedeutung des Wortes
nach „Islam“ praktiziert. Damit würde die Sharia-Regel
der Integration in die Umma für Israel
nicht mehr gelten. Stattdessen würde die Regel des Koran
vom Wettbewerb in der Tugend zutreffen. Israel wäre dann kein Fremdkörper mehr,
sondern vom gleichen geistigen Stamm, wenn auch mit einer nominell unterschiedlichen
Religion. Der Konflikt wäre damit beendet.
Und sogar was den Tempelberg
betrifft, könnte dann alles anders sein, denn als wahre Diener Gottes wären
Juden nun auch dort willkommen. Damit würde der Tempelberg zu einem Symbol des
Friedens, das jene neue Einheit in Vielfalt, die der Koran – als erste aller
Offenbarungen – klar anspricht, zum Ausdruck bringt und damit aller Welt zeigt,
was wahre Religion ist und dass wahre Religion in jeder Religion möglich ist.
(Update
4.2.2014)
Information und Kontakt: gottfried.hutter@gmx.de;
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