Der Tempelberg – für die Juden ein „Koan“*
Gottfried
Hutter, Theologe, Psychotherapeut, Autor dieser
Friedensinitiative, Gründer und Vorsitzender des Tempel-Projekt e.V.
Muslime
misstrauen dem „Status quo“, der den Juden das Beten auf dem Tempelberg verbietet.
Deshalb gibt es zu jedem jüdischen Neujahr Unruhen wegen der immer weiter zunehmenden
jüdischen Besucherzahlen auf dem Tempelberg.
Die
amerikanischen Politiker sind befangen im Dogma der Säkularität.
Deshalb können sie derartigen Veränderungen keine Beachtung schenken, deshalb
müssen sie auf dem „Status quo“ beharren.
Aber auch
die israelischen Politiker bestehen auf der Einhaltung des „Status quo“. Das
wird vom israelischen Oberrabbinat vorbehaltlos unterstützt. Die Oberrabbiner
sagen klar, dass erst der Messias den Neuen Tempel bringen wird –aber mehr und
mehr Juden denken daran bereits jetzt. Rabbi Glick ist einer von ihnen. Er
verlangt, dass Juden auf dem Tempelberg beten dürfen. Aus diesem Grund hat ein
muslimischer Terrorist versucht, ihn zu töten. Aber jetzt, nach dem Attentat
wieder genesen, ist er Kandidat der Partei des Ministerpräsidenten für die
Knesset!
Die Mehrheit
der Israelis lehnt eine Veränderung des Status quo entschieden ab – aber
Stimmungen schlagen um. Mehr und mehr Menschen fragen bereits, wie ein Neuer Tempel aussehen könnte. Welche Funktion soll er
erfüllen? Soll es da wieder Tieropfer geben? Aber – würde darüber nicht
möglicherweise alle Welt lachen?
Die
Reformjuden sagen klar: Tieropfer sind eine Sache der Vergangenheit. Wir leben
in keiner Tierzüchter-Gesellschaft. Unsere Opfer sehen anders aus. Ihre
Rabbiner haben bereits unmittelbar nach der Zerstörung des Tempels
festgestellt, dass es jetzt nur noch geistige Opfer geben kann, nämlich eine
dem Geist des Gesetzes angemessene Lebensweise.
Allerdings
gibt es im heutigen Judentum niemand, der so etwas mit göttlicher Autorität
entscheiden könnte, wie es die alten Propheten taten.
Deshalb
bleibt die Frage offen, wird aber gleichzeitig auch für Juden immer drängender.
Das zeigen die Unruhen um den Tempelberg.
Orthodoxe
Juden verweisen auf den Messias, aber niemand weiß, wann der Messias kommt, ob
in 1000 Jahren oder schon morgen? Kann dieser Verweis also bedeuten, dass
Orthodoxe sich keine Gedanken machen dürfen über die Frage des Tempels? Als
Symbol der geistigen Verbundenheit des Volkes Gottes und der Gegenwart Gottes
unter ihm hat der Tempel doch durchaus auch heute seine Berechtigung und
Notwendigkeit, zumindest in Gedanken.
Ja, könnte
man nicht sagen, dass die gegenwärtigen Unruhen um den Tempelberg die Juden
geradezu zur Klärung der Frage drängen, was es mit dem Tempel heute auf sich
hat?
Der Status
quo ist jedenfalls keine dauerhafte Lösung, weil er den jüdischen Anspruch
verbirgt. Er ist daher eher das klare, aller Welt sichtbare Zeichen der
Abwesenheit einer Lösung. Er könnte allerdings ein Hinweis darauf sein, dass
vielen Juden der Gegenwart ihre Auserwählung fraglich geworden ist – obwohl
Angehörige des jüdischen Volkes in vielen Sparten unserer Zivilisation führende
Positionen einnehmen. Ob sie das aber auch in Bezug auf die moralisch geistige
Weiterentwicklung unserer Zivilisation tun?
Die
Auseinandersetzung um die künftige Gestalt eines neuen Tempels könnte das Feld
sein, durch das sich ihre Berufung heute klären könnte.
Der neue
Tempel könnte gewissermaßen das „Koan“*)
sein, das den Juden heute als Aufgabe gegeben worden ist. Eine Lösung wird
unvermeidlich verknüpft sein mit der Lösung der Aufgabe ihres Verhältnisses zu
den Muslimen. Ein gelungenes Zusammenleben mit ihnen würde sich jedenfalls
insbesondere am Tempelberg zeigen, dem Al Haram ash
Sharif der Muslime, der dann nämlich nur noch Frieden ausstrahlen würde.
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* Ein Zen-Koan ist eine Art Rätsel, das nur gelöst werden
kann, wenn es spirituelle Meisterschaft gibt; dieses Koan
könnte daher als Herausforderung dazu betrachtet werden, den Konflikt durch
spirituelle Meisterschaft zu lösen.
(8.12.2015)
Information und Kontakt: www.Tempel-Projekt.de; gottfried.hutter@gmx.de
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