Frieden im Heiligen Land: Das
Friedenspotential des Edlen Heiligtums, des Tempelbergs in Jerusalem
Gottfried
Hutter, Theologe, Psychotherapeut, Autor dieser Friedensinitiative, Gründer
und Vorsitzender des Tempel-Projekt e.V.
©“Pictorial Library of Bible Lands”, Bd. 3, www.bibleplaces.com
Die heiligen Orte in Jerusalem zwischen Tempelberg (Al-Haram
ash-Sharif) und Grabeskirche
Am
Tempelberg in Jerusalem, dem Erhabenen Heiligtum der Muslime, scheiden sich die
Geister. Wegen der gegensätzlichen Ansprüche ist dieser heilige Platz zu einem
Symbol des Konflikts geworden.
Sowohl Juden
wie Muslime halten ihre Ansprüche für allein maßgebend und beide Seiten sehen
ihre Ansprüche bedroht. Nicht wenige warnen daher, dass sich der Konflikt zu
einem internationalen Religionskrieg ausweiten könnte, wenn nicht rechtzeitig
eine Lösung gefunden wird.
Sowohl
orthodoxe wie liberale Juden glauben, sie könnten die erhitzten Gemüter
besänftigen, indem sie sagen, dass sie den Tempelberg nicht antasten werden,
weil erst der Messias den Neuen Tempel bringen wird; aber das klärt die Frage
nicht, ob Juden nicht doch hier und jetzt Rechte beanspruchen können, ihren
Tempelberg betreffend.
Das
israelische Oberrabbinat hat angeordnet, dass Juden den Tempelberg nicht
betreten dürfen, damit sie nicht den Platz des früheren Allerheiligsten
unabsichtlich betreten und dadurch entweihen; aber auch diese Anordnung beharrt
auf den älteren Rechten der Juden. Das Gleiche gilt von der Beteuerung der
israelischen Regierung, dass keine Absicht besteht, den Status quo des Platzes
zu verändern.
Alle diese
Aussagen wirken auf Muslime möglicherweise sogar wie eine absichtliche
Verschleierung des grundsätzlichen Anspruchs Israels auf den Tempelberg – und
gleichzeitig wie ein massiver Selbstzweifel auf jüdischer Seite.
Muslime
haben daher versucht, eine Lösung dadurch herbeizuführen, dass sie sagten, der
jüdische Anspruch sei frei erfunden, denn es habe an dieser Stelle nie einen
jüdischen Tempel gegeben. Aber dieser Auffassung steht die gesamte jüdische und
christliche Geschichtsschreibung entgegen, die diesen Ort seit je her als den
Ort des Tempels gesehen hat.
Alle diese
Aussagen führen jedoch unweigerlich zu gravierenden Fragen an Juden wie an
Muslime und sogar an Christen: Angesichts der historischen Lücke von fast 2000
Jahren müssen sich Juden doch fragen, welchen legitimen Anspruch sie auf diesen
Platz heute noch erheben können. Und Muslime müssen sich fragen, ob ihr
Exklusivanspruch nicht möglicherweise von Anfang an jüdische Rechte verletzt
hat.
Beginnen
Muslime nicht alles, was sie tun, mit der Formel „Im Namen Gottes, des
Gnädigen, des Barmherzigen“? Als der Kalif Omar im Jahr 638 Jerusalem und den
Tempelberg in Besitz nahm, handelte er da wirklich „im Namen Gottes, des
Gnädigen, des Barmherzigen“ oder tat er da einfach nur, was alle Eroberer tun,
wenn sie sich die geschichtsträchtigsten Plätze aneignen, um genau dort ihren
Triumph geltend zu machen? War die Aneignung des Tempelbergs also wirklich
legitim im Sinn der Spiritualität des Islam? Hätte der Kalif diesen höchst
bedeutsamen Platz, der seit der Zerstörung des Tempels durch die Römer den
Juden enteignet war, nicht jetzt den Juden zurückgeben müssen?
Muslime
mögen mir diese Frage bitte verzeihen – es ist nicht meine Frage; zwei junge,
theologisch hoch gebildete Muslime stellten sie mir zu meinem größten
Erstaunen. Juden, so sagten sie, repräsentieren doch für Muslime die erste
Buch-Religion und der Platz ihres Tempels war für Muslime so bedeutsam, dass er
sogar die erste Gebetsrichtung bestimmt hat! Wie konnte der Kalif Omar daher so
wenige Jahre danach all das ignorieren und auch die Sehnsucht der Juden nach
ihrem heiligsten Platz?
Meines
Erachtens, so antwortete ich diesen Muslimen, konnte er das nur, weil er von
der berühmten „Nachtreise“ des Propheten wusste. Eines Nachts, so wird gesagt,
führte der Erzengel Gabriel den Propheten zum Tempelberg in Jerusalem und von
dort in den Himmel, damit er dort alle Propheten treffen konnte, die ihm
vorangegangen waren. Das war seine Bestätigung als „das Siegel der Propheten“.
Nur das kann das Motiv des Kalifen Omar gewesen sein. – Aber beinhaltet dieses
Motiv nicht eine Anerkennung der ursprünglichen spirituellen Bedeutung des
Ortes – und damit auch der Ansprüche der Juden heute?
Tatsache
ist, dass der gesamte Tempelberg zu dem ausschließlich islamischen “al Haram
ash Sharif”, „dem Edlen Heiligtum“ geworden ist und als solches 1300 Jahre lang
gedient hat und dass es während dieser Zeit keine ernstzunehmenden Versuche
gegeben hat, den jüdischen Tempel dort wiederzuerrichten.
Tatsache ist
aber auch, dass traditionsbewusste Juden seit je her bis herauf in unsere Zeit
das Andenken an den Tempel gepflegt haben und dass manche von ihnen, zumindest
in vorislamischer Zeit, dort alljährlich einen bestimmten Felsen aufgesucht
haben, der für sie die Stelle des Allerheiligsten ihres alten Tempels
markierte.
Nach
islamischer Tradition, aber auch nach Völkerrecht, ist das Edle Heiligtum
Die
israelische Regierung sieht das ganz anders. Seit 1967 erhebt sie
Eigentumsanspruch auf den gesamten Tempelberg. Sie überlässt dessen Verwaltung
aber – ihrer Ansicht nach freiwillig – dem Waqf, also der muslimischen
Stiftung, der das erhabene Heiligtum (al
Haram ash Sharif) seit je her anvertraut ist, und – gemäß dem
Friedensvertrag mit Jordanien – dem jordanischen Religionsministerium.
Diesen
israelischen Eigentumsanspruch lehnen die meisten Muslime aber ab.
Ist unter
diesen Umständen eine Lösung für diesen Konflikt überhaupt denkbar?
In der Zeit unbestritten
islamischer Herrschaft im gesamten Nahen Osten garantierte das islamische
Gesetz, die Sharia, den Frieden unter
den Religionen – unter der Bedingung der Unterordnung der Nichtmuslime unter
die Oberhoheit des Islam.
Aber nachdem
das Kalifat 1924 beendet wurde, verloren viele alte Regeln ihre
Selbstverständlichkeit, auch wenn sie mehr als tausend Jahre lang Frieden
garantiert hatten. Die Welt wurde von den Siegern neu aufgeteilt, mehr nach
geografisch-geometrischen Gesichtspunkten als nach Kriterien der Identität oder
der verwandtschaftlichen Zugehörigkeit der Menschen, die dort lebten. Damit war
das islamische Gesetz ausgehebelt und es wurde durch internationales Recht
ersetzt.
In der
Zwischenzeit entstand dort ein Staat, nach dem Juden sich zwei Jahrtausende
lang gesehnt hatten, ohne dass ihre Sehnsucht auch nur die leiseste Chance auf
eine politische Realisierung gehabt hätte.
Jetzt aber,
auf dem Territorium der Besiegten des ersten Weltkriegs, konnten die Juden auch
geografisch wieder anknüpfen an ihre alte Geschichte. Als sich diese
einzigartige historische Chance bot, ergriffen sie sie, wenn auch mit einer
neuen, säkularen Vision.
Das Volk
hatte in mehr als zweitausend Jahren Verstreuung über die ganze Welt seine
Kultur bewahrt und viele Juden von überall her fanden hier eine neue Heimat. Es
war nicht mehr die gleiche Heimat, die Juden gehabt hatten, die hier bereits
unter dem Gesetz der Sharia gelebt
hatten, denn jetzt hatten sie die Möglichkeit, unter ihrem eigenen Gesetz zu
leben.
Manche Israelis
träumten von den Tagen der mächtigen Könige David und Salomo. Aber alle
entwickelten eine neue Identität.
Und damit
gerieten zwei mächtige Identitäten in Widerspruch zueinander, die islamische
und die neue israelisch-jüdische.
Und weil
sich alles um jenen Platz herum abspielte, der nicht nur der jüdischen Kultur,
sondern dann auch der islamischen historische Wurzeln gegeben hatte, bildete
sich nun in beiden Kulturen jene kritische Masse, die sehen will, welche von
den beiden nun recht hat.
Wird das unausweichlich
zu dem lange geweissagten „Armageddon“ führen? Oder könnte es eine Lösung
geben, die auf einer Versöhnung der Gegensätze beruht und am Ende beide als
Sieger zeigt? Könnte sich schließlich nicht ein Weg zeigen, der zu einer
Einheit in Vielfalt führt? Könnte die
Lösung nicht in Sure 5,48 des Qur‘an
gefunden werden, die ausdrücklich feststellt, dass Gott, wenn er gewollt hätte,
doch allen Menschen nur eine Religion geben hätte können, dass er statt dessen
aber einen Wettbewerb in der Tugend
zwischen den Religionen sehen wollte?
Könnten
weise Führer auf beiden Seiten daher nicht sehen, dass die Wiederkehr Israels
gar keine Bedrohung ist für den Islam, sondern sogar eine Bereicherung? Könnte
eine weise israelische Führung nicht den Weg nachgehen, den ihr Stammvater und
Namensgeber Jakob/Israel ihr vorangegangen ist in seiner Versöhnung mit seinem
Bruder? Könnten sie ihre muslimischen Geschwister nicht dadurch ehren, dass sie
sie und ihre Religion als Erfüllung alter biblischer Prophezeiungen würdigen,
als ein Geschenk Gottes – denn, nachdem die biblische Botschaft bereits von den
Christen dankbar angenommen worden war, kamen die Muslime und trugen diese
Botschaft noch weiter in die Welt hinaus.
Könnten
diese drei Religionen sich also nicht als unterschiedliche Schutzbefohlene des
einen Bundes betrachten, den Gott den Menschen in Vielfalt angeboten hat?
Und könnten
dann nicht alle diese Menschen aus aller Welt nach Jerusalem kommen, wie die
Propheten es vorhergesagt haben, und hier ihre Dankbarkeit für diesen Bund
ausdrücken und auch ihre Brüder und Schwestern ehren, die andere Formen des
Bundes gefunden haben?
(Update, 2015_01_06)
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